GRASSWORKS Research Project

Es geht nicht um Teilnahme – Es geht um Mitgestaltung
Einblicke in ein Reallabor zur Renaturierung von Grünland 1

Mit der laufenden UN-Dekade zur Wiederherstellung von Ökosystemen (2021-2030) steht zunehmend die Frage im Fokus, wie eine effektive Wiederherstellung von Ökosystemen aussieht und was sie erfolgreich macht. Das Projekt Grassworks, das eben dieser Frage aus ökologischer sowie sozialer Sicht bei der Grünlandrenaturierung nachgeht, veranstaltete am 4. November 2022 im Otterzentrum Hankensbüttel (Landkreis Gifhorn in Niedersachsen) eine Auftaktveranstaltung zur Initiierung eines Transformationsprozesses mit lokalen Akteuren und Akteurinnen.

Dass das zunehmende Artensterben ein Problem ist, dürfte vielen Lesenden bekannt sein. Die Rolle von Grünland in diesem Zusammenhang ist allerdings oft weniger bekannt. Obwohl traditionell bewirtschaftetes Grünland zu den artenreichsten Lebensräumen in Mitteleuropa gehört1 und eine Vielzahl wichtiger Ökosystemleistungen erbringt, von denen auch wir Menschen sehr profitieren2,3, ist sein Gefährdungsstatus im Vergleich zu anderen Ökosystemtypen am höchsten. Das liegt zum einen daran, dass es sehr häufig in andere Landnutzungstypen umgewandelt wird und zum anderen daran, dass es weniger gut geschützt ist als beispielsweise tropische Wälder.4 Das wird auch in Deutschland deutlich und zeigt sich in einem fortschreitenden Verlust von Grünlandflächen und einem nahezu durchgängig negativen Erhaltungszustand von Grünlandlebensräumen.5 Damit wird deutlich, dass die Wiederherstellung von Grünland immer wichtiger wird.

Das Projekt Grassworks geht vor diesem Hintergrund der Frage nach, wie Grünlandrenaturierung in Deutschland unter Berücksichtigung ökologischer, sozialer, politischer und ökonomischer Faktoren erfolgreich und nachhaltig durchgeführt werden kann. In diesem Zusammenhang untersucht das Projekt die Erfolge und Misserfolge bei der Renaturierung verschiedener Grünlandstandorte und die dem zugrunde liegenden Faktoren. Darüber hinaus werden drei Reallabore (RWL) eingerichtet, um auf einer experimentellen Basis gemeinsam mit lokalen Akteuren und Akteurinnen Transformationsprozesse in der Grünlandrenaturierung zu initiieren. Im Rahmen dieser fand auch die Auftaktveranstaltung zum Reallabor Nord im Otterzentrum Hankensbüttel statt. Es nahmen Vertreter und Vertreterinnen der Landwirtschaftskammer Niedersachsen, der unteren Naturschutzbehörde, des Landvolks, Landwirte und Landwirtinnen aus dem Landkreis Gifhorn, Mitarbeitende des Otterzentrums sowie Professoren und Professorinnen, wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Doktoranden der Leuphana Universität und der Hochschule Anhalt teil.

Im Rahmen des Reallabors wird eine Reihe von Workshops stattfinden, in denen die identifizierten Interessengruppen einander verstehen lernen und sich mit den Schlüsselthemen der ökologischen und Mensch-Natur-Beziehungen im Kontext von Grünland vertraut machen können. Dies soll allen Beteiligten dabei helfen, Hebelpunkte zu identifizieren und gemeinsam Maßnahmen zur Grünlandrenaturierung in ihrer Region zu planen. Diese Maßnahmen sollen dann gemeinsam umgesetzt werden und von einem gemeinsamen Austausch, Beobachtungen und Reflexionen begleitet werden. „Es geht nicht um Teilnahme, sondern um Mitgestaltung“, beschrieb Lukas Kuhn, Doktorand der Leuphana, den Anwesenden das Projekt.  Auch Prof. Vicky Temperton, Leiterin von Grassworks, und Dr. Miguel Cebrián-Piqueras, Koordinator der Reallabore, stimmten zu, es gehe „um eine Struktur, die gefüllt werden kann – von allen, die sich beteiligen.“ Das Ziel ist es, ein Netzwerk zu schaffen, in dem Menschen gemeinsam an den formulierten Zielen arbeiten können. Strenge Vorgaben gibt es nicht. Das Projekt lebt von seinem experimentellen Charakter, der Offenheit, der aktiven Beteiligung, sowie der Mitteilung von Werten und dem Austausch von Meinungen, Perspektiven und Wissen aller Beteiligten. Die Rolle der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen besteht darin, zu helfen, zu unterstützen und zu moderieren. Auf diese Weise kann das selbstbestimmte Handeln der Beteiligten das Gefühl bestärken, etwas erreichen zu können – und das in Eigenregie. Gerade in Anbetracht der sonst oft einschränkenden Bürokratie und Vorschriften kann dies eine sehr wertvolle Erfahrung sein. Letztlich geht es darum, einen von unten nach oben gerichteten Prozess zu verfolgen: Ausgehend von den Akteuren und Akteurinnen sollen die angestoßenen Prozesse eine Wirkung entfalten, die möglicherweise bis hin zur nationalen Ebene reicht.

Ein erster Schritt in diese Richtung wurde bereits während der Informationsveranstaltung gemacht. Es gab mehrere Beiträge aus der Gruppe, in denen es darum ging, was die jeweiligen Teilnehmenden wichtig finden. So wurde im gemeinsamen Austausch beispielsweise die Frage nach der Wirtschaftlichkeit und den finanziellen Anreizen für Landwirte, Landwirtinnen und Landbewirtschaftende aufgeworfen, wenn sie es wagen den Schritt zur Grünlandrenaturierung zu machen. Außerdem wurde diskutiert, welche Rolle andere Werte wie Wertschätzung und sich verändernde Anreize in einer sich rasch verändernden Welt des Klimawandels, der Artenkrise und der sozialen Krisen spielen. Ein weiterer Beitrag thematisierte den wahrgenommenen Mangel an öffentlichem Bewusstsein für die Bedeutung von Grünland, sowohl im Hinblick auf materielle als auch immaterielle kulturelle Werte. Dazu gehörte eine Geschichte über die Verbindung mit Wiesen aus der eigenen Kindheit durch das Pflücken von Wiesenschaumkraut und Schlüsselblumen für die Mutter, die der heutigen Situation entgegengestellt wurde: Zum einen sind diese beiden Arten auf den meisten heutigen Wiesen kaum zu finden, und zum anderen, würde es eine Straftat darstellen, sie zu pflücken. Dieses Beispiel zeigt eindrücklich die Verschiebung des Zustandes der Artenvielfalt, mit dem wir es in unserer heutigen Welt zu tun haben. Lunja Ernst, Mitarbeiterin des Otter-Zentrums, stellte während dem Austausch fest: „Wir sind bereits mittendrin“. Alina Twerski, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Leuphana, pflichtet ihr bei und ergänzt: „Jetzt liegt es an uns, in welche Richtung das geht.“

© Lea Pöllmann

Am Ende der Veranstaltung wurden die Teilnehmenden ermutigt über den weiteren Weg nachzudenken und ihre Rolle in diesem Prozess zu spezifizieren: Wie kann ich mich beteiligen? Was möchte ich beitragen? Wo sehe ich meine Rolle? Die Teilnehmenden nahmen Stift und Papier zur Hand, um diese Inputs zu sammeln und ihre Gedanken dazu zusammenzutragen. Die Ergebnisse reichten von Verantwortungsübernahme, über Wertschöpfung durch Direktvermarktung und Schaffung eines artenreichen Blütenangebots bis hin zu Kontaktherstellung, Vernetzung und Multiplikatorfunktionen. Insgesamt scheint die die Reallabor-Komponente des Projektes damit unter keinem schlechten Stern zu stehen, oder um es mit den Worten eines Teilnehmers zu sagen: „Freue mich auf bunte Wiesen!“

Diese Forschung wird vom BMBF (Bundesministerium für Bildung und Forschung) im Rahmen des Programms Forschung für den Erhalt der Artenvielfalt (FEdA) gefördert. Projektzeitraum: Nov. 2021 – Okt. 2024

Literatur

  1. Temperton (2013): Mit Wissenschaft zurück zu artenreichen Wiesen – Die Renaturierung von Graslandbeständen als komplexes System. In: Beck (Hrsg.): Die Vielfalt des Lebens: Wie hoch, wie komplex, warum? Wiley VCH.
  2. Bengtsson, J., Bullock, J.M., Egoh, B., Everson, C., Everson, T., O’Connor, T., O’Farrell, P. J., Smith, H. G., & Lindborg, R. (2019). Grasslands – more important for ecosystem services than you might think. Ecosphere 10(2): e02582. doi: 10.1002/ecs2.2582.
  3. Schils, R. L., Bufe, C., Rhymer, C. M., Francksen, R. M., Klaus, V. H., Abdalla, M., … & Price, J. P. N. (2022). Permanent grasslands in Europe: Land use change and intensification decrease their multifunctionality. Agriculture, Ecosystems & Environment, 330, 107891.
  4. Hoekstra, J. M., Boucher, T. M., Ricketts, T. H., & Roberts, C. (2005). Confronting a biome crisis: global disparities of habitat loss and protection. Ecology letters, 8(1), 23-29. doi: 10.1111/j.1461-0248.2004.00686.x.
  5. BfN (Bundesamt für Naturschutz) (Hrsg.) (2014). Grünland-Report – Alles im Grünen Bereich?.
Lea Pöllmann
lg079559@stud.leuphana.de |

Ich studiere Umwelt- und Nachhaltigkeitswissenschaften mit einem Fokus auf Ökologie und Naturschutz an der Leuphana Universität Lüneburg. Mein besonderes Interesse gilt den Funktionen und Interaktionen von Ökosystemen, und wie wir diese nachhaltig und zu beiderseitigem Vorteil mit unseren sozialen Systemen verbinden können. In Grassworks arbeite ich hauptsächlich in der Öffentlichkeitsarbeit und schreibe meine Abschlussarbeit im ökologischen Untersuchungsteil.

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Ich studiere Umwelt- und Nachhaltigkeitswissenschaften mit einem Fokus auf Ökologie und Naturschutz an der Leuphana Universität Lüneburg. Mein besonderes Interesse gilt den Funktionen und Interaktionen von Ökosystemen, und wie wir diese nachhaltig und zu beiderseitigem Vorteil mit unseren sozialen Systemen verbinden können. In Grassworks arbeite ich hauptsächlich in der Öffentlichkeitsarbeit und schreibe meine Abschlussarbeit im ökologischen Untersuchungsteil.

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