Visionen für die Renaturierung von Grünland: Was ich schätze und was wir schätzen
Einblicke in ein Reallabor zur Renaturierung von Grünland 2
Die Bedeutung der Renaturierung von Ökosystemen nimmt in unserer heutigen Zeit, in der wir ein großes Ausmaß an Zerstörung von Lebensräumen und biologischer Vielfalt erleben, die viele Arten zum Aussterben bringt, eine immer zentralere Rolle ein. Was dabei allerdings oft weniger bewusst ist, ist die Verteilung dieses Artenverlustes. So sind beispielsweise die Mehrzahl der rückläufigen Pflanzenarten Deutschlands Offenlandarten1, wie sie auf artenreichem Grünland zu finden sind – oder zunehmend eher zu finden waren. Neben dem intensiven Gebrauch von Pestiziden, ist einer der Hauptgründe für den Biodiversitätsverlust der Wandel der Landnutzungspraktiken und der damit verbundene Verlust an Lebensräumen für ebendiese Arten.2 So werden zum einen Wiesen und Weiden immer intensiver bewirtschaftet oder zu Äckern umgewandelt und zum anderen Flächen aufgegeben und brachfallen gelassen. Für die Erhaltung des Artenreichtums von Grünland ist allerdings eine fortwährende extensive Bewirtschaftung notwendig3, was die Wechselbeziehung zwischen sozialen Systemen und Ökosystemen in artenreichem Grünland sowie ihre Stabilität im Laufe der Zeit verdeutlicht. Damit ist nicht nur die ökologische Vorgehensweise zentral für eine erfolgreiche Wiederherstellung von Grünland, sondern maßgeblich auch der Einbezug der sozialen, politischen und wirtschaftlichen Aspekte eines solchen Prozesses. Die größte Herausforderung für einen gesellschaftlichen Wandel ist dabei die Wiederherstellung der Verbindungen und Zusammenhänge zwischen Menschen und Ökosystemen. Hierfür müssen wir über neue integrierte Ansätze für sozial-ökologische Wiederherstellung nachdenken, die die menschliche Dimension berücksichtigen, und wie diese zur Wiederherstellung größerer Flächen artenreichen Grünlandes beitragen kann, um dem Biodiversitätsverlust entgegenzuwirken und viele andere Ökosystemleistungen zu erbringen, einschließlich Klimaschutz und Klimaanpassung.
Eben diesen Ansatz verfolgt das Grünland-Renaturierungsprojekt Grassworks. Das Projekt versucht, über einen klassischen Naturschutzansatz hinauszugehen und analysiert die ökologischen, sozio-ökologischen und sozio-ökonomischen Faktoren, die zu einer erfolgreichen Grünlanderneuerung in Deutschland führen. Im Rahmen dieses Projektes fand am 17.02.2023 in der Volkshochschule Wittingen der erste partizipative Workshop und damit die zweite Veranstaltung im nördlichen Reallabor statt. Die Reallabore sind ein wichtiger Bestandteil von Grassworks und ihr Ziel ist es, einen kontinuierlichen kollaborativen und experimentellen Raum zu schaffen, in dem das Thema der Grünlandrenaturierung mit verschiedenen Interessengruppen aus dem wissenschaftlichen Bereich sowie mit Akteuren aus der Zivilgesellschaft diskutiert wird (mehr Informationen zu Grassworks und den Reallaboren kann in diesem Blogbeitrag, oder auf unsere Website, gefunden werden).
Im Februar-Workshop ging es darum, sich gegenseitig kennenzulernen und zu verstehen, wo wir stehen, wenn wir über Grünland und seine Bewertung sprechen. Der Workshop wurde durch Prof. Dr. Jacqueline Loos, und Dr. Miguel A. Cebrián-Piqueras geleitet, die beide Teil des Grassworks-Teams sind. Unter den Teilnehmenden waren Mitarbeitende des Otterzentrums Hankensbüttel, der Landwirtschaftskammer, der niedersächsischen Landgesellschaft, der unteren Naturschutzbehörde, und Professorinnen und Professoren, wissenschaftliche sowie studentische Mitarbeitende der Leuphana Universität Lüneburg und der Hochschule Anhalt. Die Teilnehmenden wurden dazu eingeladen, ihr Wissen über die ökologischen Prozesse und die Mensch-Natur Beziehungen im Zusammenhang mit Grünland zu teilen und die Perspektiven der jeweils anderen zu diskutieren. Außerdem wurden die Teilnehmenden ermutigt, über ihre Werte in Bezug auf Grünland nachzudenken, sowohl individuell als auch gemeinsam, und Einblicke in wissenschaftliche Erkenntnisse über ökologische, soziale und wirtschaftliche Faktoren, die Grünland beeinflussen, zu gewinnen.
Als ich ein Kind war… – Werte in Verbindung mit Grünland sind oft emotional geprägt
Die Bedeutung von persönlichen Werten im Bezug zu Grünland wurde dabei bereits während der Vorstellungsrunde deutlich. Um sich einander besser bekannt zu machen, wurden die Teilnehmenden gebeten sich jeweils ein Bild, das ihnen besonders gut gefiel, von einer Vielfalt an im Raum verteilten Bildern, aussuchen. Auf den Bildern waren etwa hügelige und weitreichende Wiesenlandschaften, Blütenmeere, oder auf Weiden grasende Kühe zu sehen. Mit dem auserkorenen Bild konnten sich die Teilnehmenden den anderen dann vorstellen und beschreiben, was ihnen an dem Bild besonders gut gefallen hat. Die Assoziationen zu den Bildern waren dabei erstaunlich oft emotionaler Natur und die Geschichten, die dazu erzählt wurden, hingen oft mit der Kindheit und Persönlichkeit der Teilnehmenden zusammen. So hat eine Person ein Bild gezeigt, dass einen Jungen an einem Sommertag auf einer blühenden Wiese zeigte, und eine tiefe Verbundenheit zu diesem Bild ausgedrückt, da es ein sehr ähnliches Bild von ihm selbst als Jungen vor über 50 Jahren auf einer solchen Wiese gibt. Die Wiese sei damals voller Schlüsselblumen gewesen und er könnte sich bis heute an diesen Moment auf der Wiese erinnern. Auch viele andere Geschichten waren eng mit der Kindheit und Heimat, der eigenen Person oder dem Gefühl von Entspannung und Ästhetik verbunden. Oft wurde eine Sehnsucht beschrieben, etwa nach bunten, artenreichen Wiesen, nach Weiden mit Kühen oder anderen Weidetieren, oder nach dem Gefühl von Sommer, Urlaub, und Sonne im Gesicht, das die Teilnehmenden mit Grünland in Verbindung brachten. Mit der Vorstellungsrunde hat sich damit in überraschem Ausmaß gezeigt, dass der persönliche und emotionale Wert von Grünland ein Wert ist, den viele von den Anwesenden miteinander teilen.
Im nächsten Schritt konnten sich die Anwesenden tiefergehend mit ihren persönlichen Werten zu Grünland beschäftigen, bevor sie in einen gemeinsamen Austausch über geteilte Werte gekommen sind. Hierzu wurden sie gebeten eine Umfrage rund um das Thema Werte und Wissen bezüglich Grünland auszufüllen.
Auf der Suche nach gemeinsamen Werten und worauf es am Ende ankommt…
Nach der Umfrage haben die Teilnehmenden Kleingruppen gebildet und wurden darum gebeten, gemeinsame Werte zu ermitteln. In einer ersten Diskussionsrunde haben die Teilnehmenden die bereits bekannten Werte gemeinsam in ein Raster (von sehr wichtig bis unwichtig) eingeteilt. In einer nächsten Diskussionsrunde wurden die Kleingruppen dann darum gebeten eine Vision für die Renaturierung von Grünland in ihrer Region zu entwerfen. In einem gemeinsamen Brainstorming legten sie dafür die natürlichen und sozialen Attribute fest, die mit den jeweiligen Werten in Verbindung stehen, sowie die Maßnahmen, die zu ihrer Förderung beitragen, und die daran beteiligten Personen. So hat eine Gruppe beispielsweise dem Wert von Grünland Futter und Heu zu liefern die natürlichen Attribute Futterwert, Pflanzenvielfalt und Beweidung zugeschrieben, als wichtige Maßnahmen Ernte, Beweidung und das Finden von Abnehmern formuliert, sowie Bewirtschaftende und Heuabnehmende als relevante Akteure spezifiziert. Im Anschluss an diese Diskussionsrunde haben die Teams ihre Ergebnisse im Plenum präsentiert. Dabei ist aufgefallen, dass die verschiedenen Gruppen sehr ähnliche Werte als besonders relevant für sich eingestuft haben. So ist das Recht auf Existenz von Wiesen und Weiden beispielsweise bei allen Gruppen als sehr wichtig eingestuft worden. Ebenso sind ökosystemare Leistungen von Grünland, etwa die Produktion von Futter und Heu, oder die Versorgung mit sauberem Wasser und Bodenfruchtbarkeit, aber auch die Verantwortung Grünland vor negativen Einflüssen zu schützen, häufig vertreten gewesen. Die Teilnehmer beschäftigten sich besonders intensiv mit möglichen Maßnahmen, wobei die Diskussionen von Biotopvernetzungen über Naturschutz bis hin zu Kompensationsmaßnahmen reichten. Als besonders bedeutend wurden hier auch Aufklärung und Kompromissfindung empfunden. Denn ohne den wirtschaftlichen Nutzen, sei eine Bewirtschaftung von Grünland kaum möglich und insbesondere kleine Projekte, ohne einen solchen Nutzen, seien oft Herausforderungen. Die erfolgreiche Bewirtschaftung von Grünland sollte daher von mehreren Perspektiven aus betrachtet werden und ganz verschiedene Werte und Nutzen erfüllen.
Ist Grünland natürlich? Welche Rolle spielt Artenvielfalt?
Um die ökologischen Prozesse und Mensch-Natur Zusammenhänge in Grünland besser zu verstehen, hat Vicky Temperton, Co-Leiterin von Grassworks, eine Präsentation über die Multifunktionalität von Grünland und die Rolle der Pflanzenvielfalt gehalten, die sehr positiv entgegengenommen wurde. Für einige Teilnehmer war die Thematisierung der Natürlichkeit von Grünland, das mit der Bezeichnung als halb-natürlicher Lebensraum leicht einen bitteren Beigeschmack von weniger natürlich oder gar weniger richtig oder schützenswert bekommt, ein besonders zentrales Thema. Die Betrachtung von Grünland als einst „natürlich“4 bedeutete einigen Teilnehmenden viel und mochte ihren Blick auf Wiesen und Weiden differenziert haben. Mit dieser Sichtweise ging auch der Wunsch einher, dass diese Perspektive mehr in die Gesellschaft getragen wird. Auch wurden Einblicke in Forschungsergebnisse sehr geschätzt, etwa, dass die Biomasse und somit der Ertrag von Grünland höher sind, wenn die Artenvielfalt auf ebendiesem Grünland höher ist. Ebenso, dass auch die Widerstandsfähigkeit artenreicher Grünländer höher ist, da mehrere Arten die gleiche Funktion im Ökosystem übernehmen können, und selbst wenn eine Art wegfällt, eine andere ihre Funktion übernehmen kann und das Ökosystem funktionsfähig bleibt. Besonders eindrucksvoll war für einige Teilnehmende auch, dass eine Wiese, die zweimal gemäht wird und auf der Leguminosen (die durch eine Symbiose mit Bakterien Stickstoff aus der Luft pflanzenverwertbar machen) wachsen genauso produktiv ist wie eine Wiese, die mit 100-200 kg Stickstoff pro Hektar im Jahr gedüngt wird.5 Außerdem haben wir versucht, die Bedeutung dieses Workshops zu unterstreichen, indem wir ihn in einen wissenschaftlichen Kontext eingebettet haben. Eine Studie von Schmitt et al.6 hat beispielsweise gezeigt, dass die Werte in Bezug zu Grünland zwar von Region zu Region sehr unterschiedlich sein können, die meisten Werte jedoch relational und intrinsisch sind – ein Ergebnis, das sich in diesem Workshop widerzuspiegeln schien.
Und jetzt? Über Hebelpunkte und Maßnahmenplanung
Zum Abschluss der Veranstaltung haben die Teilnehmenden wertvolles Feedback gegeben, etwa Ideen wie es gelingen könnte Landwirte und Landwirtinnen besser zu erreichen und wie sie in Zukunft mitwirken könnten. Darüber hinaus wurde in einigen Diskussionen die Bedeutung von Hebelpunkten hervorgehoben (Orte oder Schaltstellen innerhalb eines komplexen Systems, an denen eine kleine Veränderung an einer Stelle zu erheblichen Veränderungen im gesamten System führen kann). Dieses Konzept der Hebelpunkte wird im nächsten Workshop eine wichtige Rolle spielen. Außerdem wurde ein Ausblick auf die nächste Projektphase gegeben, die sich mehr auf die Planung von Maßnahmen konzentrieren wird. In diesem nächsten Workshop werden gemeinsam mit den Teilnehmern die Ziele der Renaturierung sowie die potenziellen Herausforderungen, Chancen und Hebelpunkte definiert (siehe Abbildung unten). Abschließend können wir mit Freude sagen, dass durch diesen Workshop der Grundstein für die nächste Phase des Prozesses gelegt wurde, und wir sicherstellen werden, dass wir alle gewonnenen Erkenntnisse für die weitere Planung des nächsten Workshops nutzen werden. Dieser Workshop hat uns wieder einmal gezeigt, wie wichtig es ist, eine Brücke zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zu schlagen, voneinander zu lernen und vor allem, sich gegenseitig bei der gemeinsamen Wiederherstellung einiger unserer lokalen Grünlandflächen zu unterstützen.
Diese Forschung wird vom BMBF (Bundesministerium für Bildung und Forschung in Deutschland) im Rahmen des Programms Forschung für den Erhalt der biologischen Artenvielfalt (FEdA) gefördert. Projektzeitraum: Nov. 2021 – Okt. 2024.
Referenzen
- Jandt, U., Bruelheide, H., Jansen, F., Bonn, A., Grescho, V., Klenke, R. A., … & Wulf, M. (2022). More losses than gains during one century of plant biodiversity change in Germany. Nature, 611, 512–518. https://doi.org/10.1038/s41586-022-05320-w↩
- Schwägerl, C. (2016). What’s Causing the Sharp Decline in Insects, and Why It Matters. YaleEnvironment360. https://e360.yale.edu/features/insect_numbers_declining_why_it_matters↩
- Temperton (2013): Mit Wissenschaft zurück zu artenreichen Wiesen — Die Renaturierung von Graslandbeständen als komplexes System. In: Beck (Hrsg.): Die Vielfalt des Lebens: Wie hoch, wie komplex, warum? Wiley VCH.↩
- Feurdean, A., Ruprecht, E., Molnár, Z., Hutchinson, S. M., & Hickler, T. (2018). Biodiversity-rich European grasslands: Ancient, forgotten ecosystems. Biological Conservation, 228, 224–232. https://doi.org/10.1016/j.biocon.2018.09.022↩
- Weigelt, A., Weisser, W. W., Buchmann, N., & Scherer-Lorenzen, M. (2009). Biodiversity for multifunctional grasslands: equal productivity in high-diversity low-input and low-diversity high-input systems. Biogeosciences, 6(8), 1695–1706. https://doi.org/10.5194/bg-6-1695-2009↩
- Schmitt, T. M., Riebl, R., Martín-López, B., Hänsel, M., & Koellner, T. (2022). Plural valuation in space: mapping values of grasslands and their ecosystem services. Ecosystems and People, 18:1, 258–274. https://doi.org/10.1080/26395916.2022.2065361↩
Lea Pöllmann
Ich studiere Umwelt- und Nachhaltigkeitswissenschaften mit einem Fokus auf Ökologie und Naturschutz an der Leuphana Universität Lüneburg. Mein besonderes Interesse gilt den Funktionen und Interaktionen von Ökosystemen, und wie wir diese nachhaltig und zu beiderseitigem Vorteil mit unseren sozialen Systemen verbinden können. In Grassworks arbeite ich hauptsächlich in der Öffentlichkeitsarbeit und schreibe meine Abschlussarbeit im ökologischen Untersuchungsteil.
Ich habe Politikwissenschaften und Angewandte Forschungsmethoden (B.Sc. und M.Sc.) mit Schwerpunkt auf sozial-ökologischen Systemen an der Babeș-Bolyai Universität in Cluj-Napoca, Rumänien, studiert. Während meiner Promotion an der Leuphana Universität beschäftigte ich mich mit der Frage, wie unterschiedliche Governance-Prozesse, die Zusammenarbeit zwischen Akteuren und deren Wertesysteme die Lebensmittel- und Energiesysteme in verschiedenen Teilen Rumäniens beeinflussen. Dieses Promotionsprojekt war Teil des Projekts „Leverage Points for Sustainability Transformation“ (auf Deutsch: Hebelpunkte für eine Nachhaltigkeitstransformation). Im Grassworks-Forschungsprojekt besteht meine Hauptaufgabe in der Forschungskoordination und Kommunikation mit dem Forschungsteam sowie in der Wissensintegration der Projektergebnisse unter Verwendung des Konzepts der „Leverage Points“ (Hebelpunkte) aus einer ganzheitlichen Perspektive. Ein kleinerer Teil meines Forschungsinteresses liegt in der Zusammenarbeit mit dem Reallabor der Region Nord, um potenzielle Möglichkeiten und Herausforderungen bei der Einrichtung dieser experimentellen Räume für die Schaffung und den Transfer von Wissen zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zu untersuchen.
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